Inhalt und Auslegung von Dienstbarkeiten

grundstück

Grundstücke können mit Dienstbarkeiten belastet werden. Inhalt einer Dienstbarkeit kann alles sein, sofern es um ein Dulden oder Unterlassen geht. Art. 730 Abs. 1 ZGB umschreibt den Inhalt einer Dienstbarkeit in grundsätzlicher Weise dahin, dass sich der Eigentümer des einen Grundstücks bestimmte Eingriffe des Eigentümers des anderen Grundstücks gefallen lassen muss oder zu dessen Gunsten nach gewissen Richtungen sein Eigentumsrecht nicht ausüben darf. Hingegen kann eine Pflicht zu einer Handlung (etwas tun) mit einer Grunddienstbarkeit nur nebensächlich verbunden werden (durch Stichwort im Grundbuch, Art. 730 Abs. 2 ZGB; sog. Realobligation). Damit wird der jeweilige Grundeigentümer ausnahmsweise zu einem Tun verpflichtet.

Eine Dienstbarkeit führt immer zu einem berechtigten Grundstück (oder gilt für eine berechtigte Person) und zu einem belasteten Grundstück, dessen jeweiliger Eigentümer verpflichtet ist, etwas Bestimmtes zu dulden oder zu unterlassen. Der oder die Berechtigte muss ein «vernünftiges Interesse» an der Ausübung haben, sei es grundsätzlich oder im Ausmass, denn das Eigentum der belasteten Person darf nicht ausgehöhlt werden (Grundsatz der Beschränktheit der Belastung, damit Dienstbarkeiten nicht «auf ewig» gelten, siehe aber Blog-Eintrag vom 02.12.2024 zur Problematik von zeitlich unbeschränkt eingetragenen Dienstbarkeiten). Das gilt auch für die «Dienstbarkeiten anderen Inhaltes» gemäss Art. 781 ZGB.

Sinn und Zweck einer vor Jahren oder Jahrzehnten eingetragenen Dienstbarkeit lässt sich später oft nicht mehr eruieren. Andere Grundeigentümer, veränderte Bedürfnisse und revidierte gesetzliche Grundlagen, beispielsweise ein kommunales Bau- und Zonenreglement, lassen früher eingetragene Dienstbarkeiten als unverständlich, in der Entwicklung hinderlich oder gar überflüssig erscheinen. Anpassung oder Löschung von Dienstbarkeiten im gegenseitigen Einverständnis der jeweils aktuellen Grundeigentümer sind natürlich jederzeit möglich. Häufiger treten allerdings einander zuwiderlaufende Interessen auf. Dann beginnt nicht selten ein Streit um Sinn und Geltungsbereich einer Dienstbarkeit.

Damit hat sich das Bundesgericht im November 2024 gleich in zwei Urteilen zum gleichen Sachverhalt auseinandergesetzt (vgl. dazu BGer-Urteil 5A_397/2024 vom 08.11.2024, insbesondere E. 2; ebenso das parallele Verfahren 5A_395/2024 mit Entscheid vom 08.11.2024). Als gesetzliche Grundlage bei der Auslegung von Dienstbarkeiten sind die Art. 738-740a ZGB heranzuziehen. Im Sinne der gesetzlichen Reihenfolge gilt zunächst der erkennbare, wirkliche Wille der Parteien, falls vorhanden laut Vertrag. Dabei ist auf den Wortsinn nach dem lokalen Sprachgebrauch zur Zeit der Dienstbarkeitserrichtung sowie den Zweck der Dienstbarkeit abzustellen. Darüber hinaus hilft der tatsächliche Eintrag im Grundbuch, oft bloss ein «Stichwort», welches sich direkt aus dem Grundbuchauszug ergibt. Laut Art. 738 ZGB ist eben dieser Eintrag – gleichgültig wie alt – massgebend, ansonsten was «im Rahmen des Eintrags» Geltung hatte, was sich nach Zeit und gutem Glauben sowie Ortsgebrauch bestimmt (Art. 738 i.V.m. Art. 740 ZGB). Dabei darf dem Verpflichteten eine Mehrbelastung nicht zugemutet werden, wenn sich die Bedürfnisse des berechtigten Grundstücks geändert haben (Art. 739 ZGB).

Abklärungen beim Rechtsvorgänger und/oder beim Grundbuchverwalter helfen frühzeitig, allfällige privatrechtliche Einschränkungen und Streitpotential viele Jahre nach ihrer Eintragung zu vermeiden. Es wird daher sehr empfohlen, anlässlich eines Erwerbs auch die Belege zum Grundbucheintrag zu sichten und den Inhalt und Umfang – z.B. eines Wegrechts – zu überprüfen. So müsste in einem solchen Fall eine zeitliche Befristung ebenso im Beleg vermerkt sein wie ein ursprünglich anerkanntes «Notwegrecht»; ansonsten wäre später durchaus streitbar, ob ein «Wegrecht» (auch) im Sinne eines sachenrechtlichen Notwegs (vgl. dazu Art. 694-696 ZGB) eingetragen worden war. Im Fall eines fehlenden präzisierten Wegrechts muss sich ein neuer Grundeigentümer ein behauptetes «Notwegrecht» nicht entgegenhalten lassen.

Für die Beratung rund um einen Grundstückerwerb und insbesondere bei Fragen zu Dienstbarkeiten stehen Ihnen die Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte der Kanzlei Pilatushof gerne zur Verfügung.

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